I•BER DIE GELSTRUKTUR DER SALBEN 345 k6nnen. Wit haben dann den Vorgang der isothermen Gel-Sol-Gel-Umwandlung vor uns, wie er yon H. Freundlich eingehend studleft worden ist und ftir den er den Begriff Thixotropie in den wissenschaftlichen Sprachgebrauch eingeftihrt hat. Unter diesem Ausdruck versteht man die Erscheinung, daft bestimmte Gele, insbesondere Neben- valenzgele (wie Eisenoxidhydratgele, Vanadinpentoxidgele, Bentonitgele) dutch einfaches Schtit- teln verfltissigt wetden k6nnen. In Ruhe stehen gelassert, verfestigen sie sich wieder zum Gel. Um die Erscheinung der Thixotropie zu zeigen, mtissen bestimmte Voraussetzungen erftillt sein. Die Bindungsenergien an den Haftstellen mtissen gering sein, yon gleicher Art sein, und die gelbildende Substanz mu13 aus relativ starten, anisometrischen Partikeln bestehen. Nadelf6rmige Teilchen ebenso wie dfinne Bl•ittchen k6nnen infolge ihrer Sperrigkeit Strukturen ausbilden, die die Grundlage des Gelgertistes darstellen. Bei der Zerst6rung des Gels dutch mechanische Scherungskrfifte wetden die anisometrischen Partikeln mehr oder weniger parallel zueinander bzw. in Richtung Scher- kr•ifte orientiert, und im Verlaufe der Wiederverfestigung verlieren sie diese Orientierung, und dutch Rotationsbewegung bildet sich die Vemetzung zurtick. Hieraus folgt, dab nicht jedes Gel Thixo- tropie zeigt und Viskosit•itsabnahmen dutch extrem starkes Rtihren ohne Rtickbildung des Aus- gangswertes keineswegs ausschlieglich thixotropen Effekten zugeordnet wetden k6nnen. 4. Neben diesem klar abgegrenzten Thixotropiebegriff ist der Ausdruck mitunter auch in der Rheologie benutzt worden, um das Flie13verhalten yon Systemen zu beschreiben, die bei kleinen Scherkr2ften eine h6here Viskosit2t besitzen als bei grogen. Hierbei handelt es sich um Erschei- nungen, die Ostwald seinerzeit als Vorhandensein yon ,,Strukturviskosit•it" kennzeichnete. Wie der Name sagt, wetden beim Fliegen in Abh•ingigkeit vom Schergef•ille Strukturen zerst6rt, die auch in fliegf•ihigen Systemen auftreten k6nnen und Hystereseschleifen ergeben, wie sie Mtinzel beschrieben hat. Da die Bezeichnung ,,rheologische Thixotropie" oft Verwirrung stiftet, sei darauf hingewiesen, daft ,,rheologische Thixotropie" auch Systeme betrifft, die man gemeinhin nicht als Gele ansieht (J. Stauff, Lehrbuch, S. 695). Das Vorliegen einer ,,rheologischen Thixotropie" kann daher nicht umgekehrt • Beweisftihrung ftir die Existenz des Gelzustandes gewertet wetden (z. B. Vaseline-Paraffin61-Gemische Hebrasalbe, also ein Gemenge aus Bleipflaster und Vaseline). Eine Formbest•indigkeit yon Salben, ein Ausflie13en aus der Tube bei Einwirkung einer Scher- kraft (•berwindung der Binghamschen Flieggrenze), eine verbleibende Formbest•indigkeit am Salbenapplikationsort, haben nichts gemeinsam mit der bei bestimmten auserw•ihlten Gelen anzu- treffenden ,,fest/fltissig/fest-Umwandlung" (Thixotropie). 5. Eine Aufschl•immung yon Calciumkarbonat in Wasset in der Applikationsform einer Zahn- pasta wtirde bei Austritt aus der Tube fliegf•ihig, am Applikationsort formbest•indig sein, sie wtirde rheologisch eine Hystereseschleife zeigen, wtirde somit Kriterien erftillen, wie sie Mtinzel fordeft, abet sie wtirde dennoch nicht als ,,Gel" bezeichnet wetden k6nnen. Sie stellt eine Mischung dar, ein Gemenge, eine Paste, da die inkorporierte Substanz inkoh•irent ist. Pasten sind nichts anderes als konzentrierte Dispersionen. Und w•ire sie koh2rent (auch diesen Fall gibt es, z. B. Bimsstein, bestimmte Schw•imme), so h•itten wit einen Porenk6rper. Der Gelbegriff mug den Systemen vor- behalten bleiben, wie er eingangs dieset Diskussionsbemerkung eindeutig umschrieben ist. Daher k6nnen auch kosmetische Cremes nicht generell zu den Gelen z•ihlen. In diesen F•illen handelt es sich in der Regel um Emulsionen (Emulsionstyp je nach Emulgator), wobei selbstverst2ndlich in Abh•ingigkeit vom Volumenverh•iltnis der beiden Mischungsphasen ebenfalls Viskosit•iten vor- liegen k6nnen, die yon ,,butter•ihnlicher Beschaffenheit" sein und bis zur Formbest•indigkeit ftihren k6nnen. Es mug dem Leser tiberlassen bleiben, ob er der Nomenklatur yon Mtinzel folgen und Salben generell als ,,Gele" bezeichnen will (siehe Tab. IV voranstehender Arbeit). Die Gefahr, daft hier- dutch noch mehr MiBverst•indnisse - als schon bestehen - eintreten k6nnen, ist gegeben.
346 JOURNAL OF THE SOCIETY OF COSMETIC CHEMISTS DISKUSSIONSBEMERKUNG Gustav Lietz* Wo liegt die Differenz der beiderseitigen Auffassungen fiber die Definition der Gele begriin- der und wie kommt es zu den verschiedenen Ergebnissen? Irgendein SpaBvogel hat einmal gesagt: Wissenschaft sei der MiBbrauch einer zu diesem Zweck erfundenen Terminologie und dadurch vielleicht mir anderen Worten etwas )khnliches zum Aus- druck bringen wollen wie Goethe, wenn er sagt: Mir Worten liiBt sich trefflich streiten, mir Worten ein System bereiten ! In der Tat: Unter Zurtickfiihrung auf die seri6se Basis wissenschaftlicher Er- kenntnisse k6nnte hier der Schliissel for die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Gelstruk- tur der Salben und •ihnlicher Zubereitungen gefunden werden, indem mir scheint, dab Mtinzel in seinem gewiB anerkennenswerten Bestreben, zu einer logisch zusammenhiingenden Systematik der Salben zu gelangen, den Gelbegriff ein wenig strapaziert und in einer for den Kolloidiker un- annehmbaren Weise ausgeweitet hat. Wie ich schon fr0her dargelegt habe, erblicke ich diese un- zuliissige Ausweitung des Gelbegriffs in erster Linie in der von Mtinzel gewiihlten Bezeichnung der Salben als ,,plastische Gele". Unter roller Wiirdigung des Umstandes, dab die Grenzen zwischen den Erscheinungsformen und Zustandseigenschaften echter Gele - wie sie die Kolloidwissenschaft unmiBverstiindlich de- finiert - und geliihnlichen Eigenschaften gewisser hier in Rede stehenden Stoffsysteme manchmal als etwas unscharf empfunden werden k6nnen, bleibt doch festzuhalten, dab die elastische Form- bestiindigkeit ein entscheidendes Merkmal der Gele ist, und dab die Plastifizierung der Gele ein ebenso entscheidendes Merkmal der Zerst6rung der Gelstruktur darstellt. Und eben in der Ver- bindung zweier Tatbestiinde, von denen der eine praktisch das Gegenteil vom anderen aussagt, erblicke ich die Unzuliissigkeit der Miinzelschen Auffassung der Salben als ,,plastische Gele". Man muB ja heute leider auf vielen Wissensgebieten iraruer wieder beobachten, dab klar abge- grenzte, wissenschaftliche Begriffsbildungen in unzuliissiger Weise ausgedehnt oder sogar ins Groteske pervertiert werden - ohne dab solche Vorgiinge noch relativ diskutierbar erscheinen, wie z. B. die ,,plastischen Gele". Wer d/ichte dabei nicht an die weitverbreiteten Erzeugnisse einer neuzeitlichen Druckverpackungstechnik, fiir die selbst gebildete Laien - abet auch Chemiker und Ingenieure - die Bezeichnung ,,Aerosol" usurpieren, ganz gleich, ob es nahezu ein Aerosol ist, was unter Druck gef6rdert wird, oder ein Spray, ein Schaum oder gar nur streichfiihiger K/ise oder Leberwurst. Sicherlich werden sprachliche MiBbriiuche wissenschaftlicher Herkunft, wenn sie leicht eing/ingig und popul/ir geworden sind, sich nicht mehr ausrotten lassen und es schadet auch gar nichts, wenn Hausfrauen von Schaumaerosolen oder gewerbliche Kosmetiker von Frisiergelen sprechen - unter Wissenschaftlern und ganz besonders im Rahmen der akademischen Lehre sollte die Sauberkeit im Umgang mit wissenschaftlichen Fachausdriicken stets ein ernstes Anliegen sein! Es ist nicht Absicht, hier noch einmal auf so wesentliche Merkmale der Gelstrukturen, wie Form- best/indigkeit und Haftfestigkeit des Gelgertistes, auf Sol-Gel-Umwandlung und die damit ver- bundenen energetischen Vorgiinge, wie Quellungwiirme und Quellungsdruck sowie die charak- teristischen Dampfdruckeigenschaften der Gele einzugehen. Jedenfalls glaube ich nicht, dab es den alten •gyptern gelungen wire, die Felsb16cke fiir den Bau ihrer Pyramiden abzusprengen, wenn sie statt Wasser auf echte Xerogele, Paraffin61 auf Ozokerit getriiufelt hiittenl Miinzel hat aber mehrfach gefragt, was Salben und Salbengrundstoffe denn eigentlich sein sollen - wenn nicht Gele und wie sie denn in die Systematik der dispersen Systeme einzuordnen seien. Ich m6chte des- halb abschlieBend die Antwort auf die Frage auch an dieser Stelle noch einmal geben: 1. Vaselin - ob natiirlicher oder ktinstlicher Herkunft, ist eine hochviskose, mehrphasige Dis- persion, in der bei Gebrauchstemperaturen feste, amorphe und kristalline Anteile durch Verfilzungs- und Reibungsvorgiinge eine so hohe sterische FlieBbehinderung hervorrufen, dab das Vaselin * Fa. Henkel & Cie. GmbH., Diisseldorf.
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